Inakzeptable Streichungen mit verheerenden Folgen für den internationalen Kulturstandort Berlin – Berlin verliert seine Zukunft!
Berlin, 06. November 2025
Der Rat für die Künste Berlin und die Koalition der Freien Szene protestieren gemeinsam entschieden gegen die im Haushaltsentwurf 2026/27 vorgesehenen Kürzungen und gegen Streichungen zentraler Kulturprogramme.
Was hier geschieht, ist ein Frontalangriff auf die kulturelle Basis dieser Stadt. Neben den im Entwurf des Doppelhaushalts 2026/27 vorgesehenen strukturellen Einsparungen wurden in der Zwischenzeit weitere, existenzbedrohende Maßnahmen bekannt: Dazu gehören neben der Fortschreibung der bereits erfolgten Streichungen aus 2025 wie etwa bei der Berlin Mondiale, die vollständige Streichung des Berliner Programms Künstlerische Forschung, der Kita-Programme von geräusch[mu’si:k] und des Kinderkulturmonats, die Kürzungen des Berliner Projektfonds Urbane Praxis, Einsparungen bei der bezirklichen Kulturarbeit, die massiven Einsparungen bei Kunst im öffentlichen Raum sowie die fortlaufenden Kürzungen und die faktische Blockade des Berliner Arbeitsraumprogramms durch gesperrte Verpflichtungsermächtigungen.
Fehlende Transparenz, gebrochene Dialogversprechen und mangelnde Kompetenz
Zu Beginn ihrer Amtszeit im Mai 2025 hatte Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson ausdrücklich einen offenen und transparenten Dialog mit der Berliner Kunst- und Kulturszene versprochen. Ein halbes Jahr später steht dieses Versprechen im krassen Widerspruch zur Realität. Nicht durch die Kulturverwaltung erfuhren zahlreiche Akteurinnen von der ersatzlosen Streichung der Fördermaßnahmen, sondern aus der Presse oder über Sitzungen des Haushaltsausschusses. Anhaltende Intransparenz in der Kommunikation und eine scheinbare Willkür der Kürzungen prägen das gegenwärtige Vorgehen der Kulturverwaltung. Das zerstört nicht nur das verbliebene Vertrauen der Berliner Kunst- und Kulturszene in ihre politische Vertretung, sondern muss als Symptom einer intendierten Wende verstanden werden: weg von Vielfalt und Innovation, hin zu Selektion und Repräsentation. 1 Die aktuelle Koalition aus CDU und SPD scheint kulturpolitische Entscheidungen vermehrt als innerparteiliche Abstimmungen zu treffen, ohne ausreichende Einbindung von kulturpolitischen Fachleuten und deren Expertise. Dies hat zur Folge, dass strukturell tragende, interdisziplinäre Programme der künstlerischen Forschung, der kulturellen Bildung und Inklusionsprojekte existentiell gefährdet sind oder gar ganz gestrichen werden. Die Kultursenatorin hat sich nicht ausreichend für den Verbleib dieser essentiellen Programme, die eindeutig in ihrer Zuständigkeit liegen, eingesetzt und darüber hinaus nicht sichergestellt, dass der Wegfall der Gelder von anderen Stellen oder Ressorts aufgefangen wird. Zurück bleibt ein kulturpolitisches Vakuum. Dieser Mangel an Kompetenz bedeutet für die professionell aufgestellte Berliner Kunst- und Kulturszene erneut einen Schlag ins Gesicht.
Ein aktueller Bericht im Tagesspiegel („Rekonstruktion einer Affäre“ 05.11.2025) legt nun offen, dass Berliner CDU-Politiker öffentliche Gelder in Millionenhöhe intransparent und mutmaßlich unrechtmäßig verteilt haben könnten. Diese Vorgänge betreffen kulturpolitische Entscheidungen zum Kulturhaushalt 2024/25 und werfen schwerwiegende Fragen zur Vergabepraxis öffentlicher Mittel auf.
Vor diesem Hintergrund sind die jüngst bekannt gewordenen, geplanten Streichungen und Kürzungen im Kulturhaushalt 2026/27 besonders skandalös. Wenn Mittel, die für Kunst und Kultur bestimmt sind, politisch instrumentalisiert oder missbräuchlich vergeben werden, verliert Kulturförderung ihre Glaubwürdigkeit. Wir fordern daher: vollständige Aufklärung, politische Konsequenzen und bis zur Klärung eine Überprüfung aller getroffenen Förderentscheidungen.
Strukturelle Einschnitte unter dem Deckmantel vermeintlicher Stabilität
Bereits in seiner Stellungnahme vom 11.09.2025 hat der Rat für die Künste darauf hingewiesen, dass der Kulturetat trotz eines Rekordhaushalts von über 44 Milliarden Euro erstmals seit Jahrzehnten unter 2% seines Anteils im Gesamtetat fällt. Die jüngst erfolgten Streichungen verstärken diesen Kurs der Entwertung künstlerischer und kultureller Arbeit.
Während institutionell geförderte Kultureinrichtungen dank einiger Änderungsanträge nun punktuell abgesichert werden, verlieren künstlerisch innovative, freie Projekte ihre Existenzgrundlage. Dabei prägen gerade diese Orte und Programme die vielfältige kulturelle Identität und die internationale Strahlkraft Berlins.
Die Streichung der Programme Künstlerische Forschung, Berliner Projektfonds Urbane Praxis, Berlin Mondiale, die Beendigung von Draussenstadt, und die faktische Blockade des Berliner Arbeitsraumprogramms (ARP) treffen insbesondere Vorhaben, die an den Schnittstellen von Kunst, Wissenschaft, Stadtentwicklung und gesellschaftlichem Zusammenleben agieren. Auch das Raumbüro der Freien Szene Berlins wurde gekürzt und bangt um seine Zukunft im ARP. Diese drohenden Abwicklungen stehen exemplarisch für ein rückwärtsgewandtes Kunstverständnis, das künstlerische Forschung, urbane Partizipation und gesellschaftliche Relevanz unzureichend berücksichtigt – und damit die Dynamik und das Renommee einer Stadt riskiert, die einst für Innovation, Offenheit und ästhetische Avantgarde stand. Ein solcher Verlust kulturellen Kapitals schwächt nicht nur den Kunst- und Kulturstandort Berlins, sondern mindert das Zukunftspotential dieser Stadt.
Ohne Räume keine Kunst
Besonders alarmierend ist der drohende Verlust eines Drittels der geförderten Berliner Atelierräume in den kommenden zwei Jahren, wie bereits in der Süddeutschen Zeitung (“Die Verunsicherung ist riesig” 25.10.2025) und der Tagesschau (“Ist es vorbei mit der Coolness der Hauptstadt?” 17.10.2025) eindrücklich berichtet wurde. Verpflichtungsermächtigungen wurden auch für gemischt genutzte Standorte in privater Eigentümerschaft wie etwa die Uferhallen nicht entsperrt. Ein zentraler Bestandteil der kulturellen Produktionsinfrastruktur steht auf dem Spiel, die zunehmende Abwanderung von Künstlerinnen aus Berlin ist nur noch eine Frage der Zeit. Ohne Räume keine Kunst – und ohne Kunst verliert Berlin seine kreative Substanz.
Auswirkungen auf kulturelle Teilhabe und gesellschaftlichen Zusammenhalt
Die Streichung von Programmen der kulturellen Bildung – etwa des Kinderkulturmonats oder geräusch[mu’si:k] – sendet ein fatales Signal an junge Menschen und Familien. Gerade Kinder und Jugendliche, die während der Pandemie auf vieles verzichten mussten, verlieren nun wichtige außerschulische Räume für künstlerischen Ausdruck, kreatives Lernen und kulturelle Selbstwirksamkeit. Es droht eine über die Jahre gewachsene Netzwerkstruktur wegzubrechen, von der Kitas, Schulen und auch etablierte Kultureinrichtungen profitieren, denn der Nachwuchs von heute ist immer auch das Publikum von morgen.
Auch im Bereich der Kunst im öffentlichen Raum sind die Folgen gravierend: Die Streichung von Draussenstadt und die massiven Mittelkürzungen bei Kunst im Stadtraum reduzieren öffentliche Zugänge zu Kunst in allen Bezirken erheblich und treffen damit direkt die kulturelle Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten. Wenn Kunst im Alltag verschwindet, verlieren Nachbarschaften wichtige Orte der Begegnung, des gemeinsamen Erlebens und des demokratischen Miteinanders.
Kürzungen oder der Wegfall von Programmen, die sich für Barrierefreiheit und Inklusion im Kulturbetrieb einsetzen – wie etwa die Diversitätsoffensive in landeseigenen Kultureinrichtungen – führen zum Abbau gewachsener Angebote und Strukturen. Diese sind jedoch essentiell für die Teilhabe marginalisierter Künstler*innen und Publikumsgruppen am kulturellen Leben sowie an der Kunstproduktion. Es fehlt außerdem eine klare Vision, wie die gesetzlichen Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention künftig im Berliner Kulturbetrieb umgesetzt werden sollen und wie der Zugang zu Kunst und Kultur für marginalisierte Gruppen dauerhaft gewährleistet werden kann. Berlin hatte in diesem Bereich eine Vorreiterrolle innerhalb Deutschlands inne – wobei Deutschland international ohnehin weit zurückliegt – und droht diese nun zu verlieren.
Diese Einschnitte gefährden die kulturelle Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten, die in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung dringender denn je Orte der Begegnung und des demokratischen Miteinanders benötigen.
Kultur ist kein Luxus – sie ist gesellschaftliches und demokratisches Fundament!
Berlin war über Jahrzehnte ein Ort der künstlerischen Avantgarde, der Freiheit und internationaler Strahlkraft. Dieses Erbe ist kein Selbstläufer. Ein Kulturverständnis, das Kunst ausschließlich auf Repräsentation und touristische Attraktivität reduziert, droht jene Vielfalt zu zerstören, die Berlin
weltweit einzigartig gemacht hat. Kulturelle Leuchttürme sind wichtig, können aber nur in einer breit angelegten Kunst- und Kulturlandschaft bestehen. Die Stärke Berlins liegt in seiner Vielfalt. Die Zerstörung dieser erfolgreichen Strukturen wird jahrzehntelang irreparable – wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle – Folgen nach sich ziehen.
Berlin braucht eine Kulturpolitik, die versteht, dass Kunst nicht Luxus, sondern Grundlage gesellschaftlicher Entwicklung ist.
Der Rat für die Künste Berlin und die Koalition der Freien Szene fordern:
- Rücknahme der aktuellen Kürzungen und Streichungen,
- Verbindliche, transparente Kommunikation zwischen Politik, Verwaltung und Kulturszene,
- Sicherung des Kulturetats auf dem Niveau von mindestens 2,5 % des Gesamthaushalts
- Transparenz und im Umgang mit dem Transformationsfonds und echte Beteiligung der Kulturszene an den Entscheidungen über dessen Verwendung,
- Einhaltung grundlegender Berliner Gesetze gegen Diskriminierung, für Gleichberechtigung und für das Recht auf Teilhabe
Berlin darf nicht an seiner eigenen Kultur sparen.
Der Kunst- und Kulturstandort Berlin ist kein Kostenfaktor – er ist das Fundament kultureller Vielfalt dieser Stadt.
Rat für die Künste Berlin & Koalition der Freien Szene
Berlin, 06. November 2025


