Beiträge von Eric Schumacher, Sprecher AK Räume und Martin Schwegmann, Atelierbeauftragter
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Mitglieder des Kulturausschusses, sehr geehrter Herr Kultursenator,
die Koalition der Freien Szene versteht unter dem sog. Arbeitsraumprogramm des Landes Berlin ein wirkmächtiges Förderinstrument, das, richtig angewendet, einen noch nachhaltigeren und bedarfsgerechteren Beitrag leisten kann, Künstler*innen in Berlin unmittelbar zu unterstützen, und das dabei hilft, deren zumeist prekäre soziale Lage abzumildern.
Ende 2014 wurde der Arbeitskreis Räume (kurz AKR) von der Koalition der Freien Szene ins Leben gerufen, um u.a. genau diesen Auftrag an die Berliner Kulturpolitik aufzugreifen und operativ und konzeptionell zu begleiten.
Aufgabe des AK-Räume ist es, mit seiner gebündelten Expertise alle relevanten Kunstsparten und Subsparten sowie deren angeschlossene Netzwerke im Rahmen eines mehrstufigen partizipativen Prozesses einzubinden und deren tatsächliche Bedarfe und Anforderungen hinsichtlich einer räumlichen Infrastruktur für künstlerisches Arbeiten konzeptionell zu erfassen, auszuhandeln und gemeinsam mit dem Land Berlin umzusetzen. Der AK-Räume der KdFS hat sich in kürzester Zeit professionalisiert und sich in eben solchen Raum- und Infrastrukturfragen als wichtiger Partner der Stadt Berlin bewährt.
Neue Räume zu suchen und zu schaffen, ist das schon Teil der Kunst? In einer wachsenden Stadt ist dies jedenfalls Ausdruck für das Bestreben der kulturpolitisch Verantwortlichen, aktiv einzugreifen, Erosionen von Verdrängungsprozessen eine proaktive soziale Agenda entgegenzusetzen.
Kunst entsteht nicht per Knopfdruck. Vor allem dann nicht, wenn die Entscheidung für die Kunst oftmals eine Inkaufnahme von Prekarisierung bedeutet, obwohl gerade auch die Freie Kunstszene in Berlin Mehrwert und Umwegrenditen schafft. Längst ist die Freie Kunstszene zu einem international anerkannten Motor und Katalysator für die Stadt Berlin geworden.
Ebenso wichtig ist es aber auch, den Wert von Kunst an sich zu sehen, ihre Autonomie – die sich eben nicht in Marktrenditen aufrechnen lässt. Kunst auch im Sinne von kultureller Daseinsvorsorge braucht Frei- und Entfaltungsräume, sprich eine auskömmlich ausgestattete Infrastruktur von Spielstätten, Lesebühnen, Probe- und Projekträumen, Ateliers und Arbeitsbüros, in denen Künstler*innen zu erschwinglichen Konditionen arbeiten und sich entfalten können.
Dazu wurden in diesem Jahr eine Reihe von Weichenstellungen mit der Senatsverwaltung für Kultur und Europa abgestimmt. Die grundsätzliche Verständigung auf eine gemeinsame Datenbank, auf klar zu definierende Prozessabläufe und die Ausgestaltung eines adäquaten Projektmanagements. Eine gegenseitige Verpflichtung zu Transparenz, auch im Zusammenwirken mit der Gesellschaft für StadtEntwicklung (GSE), die als Generalmieter und Projektentwickler maßgeblich beteiligt ist. Vieles von dem befindet sich noch in der Erprobungsphase, um einiges wird noch gerungen, einiges wurde bereits umgesetzt.
Aktuell umfasst das Planungsportfolio des sog. Arbeitsraumprogramms 24 Standorte in unterschiedlichen Entwicklungsphasen mit insgesamt ca. 52.000 qm Nutzungsfläche. Hört sich beachtlich an. Wahr ist allerdings auch, dass in 2017 kaum neue Arbeitsräume an Künstler*innen übergeben werden konnten. Ja, man könnte fast von einem Stillstand reden.
Wir fragen uns, wie angesichts der bisherigen schleppenden Projektfortschritte das Ziel der Senatsverwaltung bis 2021 zusätzliche 2000 Arbeitsräume bereitzustellen, erreicht werden kann. Verlässt man sich ggf. doch zu sehr auf die Entwicklung von landeseigenen Großstandorten – deren Realisierungschancen teilweise sogar noch fraglich sind, wie beispielsweise bei den Liegenschaften in der Lehrterstraße, der Bülowstraße oder der Frankfurter Allee, die allein ca. 15.000 qm ausmachen? Andererseits wäre es wünschenswert, Großvorhaben wie das Haus der Statistik mit ca. 40.000 qm oder die Alte Münze mit ca. 15.000 qm in das sog. Arbeitsraumprogramm planerisch zu integrieren, zumindest teilumfänglich.
Unabhängig davon fragen wir uns, ob mit den eingestellten konsumptiven und investiven Haushaltsmitteln im DH 18/19, die Erreichung dieser Zielmarke überhaupt finanziell ausreichend ausgestattet ist.
Laut Haushaltsplan sollen die konsumptiven Mittel in 18/19 jeweils um 500.000 € steigen. Damit stünde (vereinfacht gesprochen) bei einer Bereitstellung von 500 Arbeitsräumen pro Jahr gerade mal eine Fördersumme von 1.000 € pro Arbeitsraum zur Verfügung. Wohlgemerkt bei sehr unterschiedlichen Raumzuschnitten und abzüglich der Kosten für Verwaltung und Mietausfallwagnis der GSE, für erforderliche Standort-Betreiberschaften oder bei Großstandorten für ein Standort-Management; abzüglich der Kosten für das Bestandsoptimierungsprogramm, die ebenfalls unter den Titel 68.615 fallen.
Auch beziehen sich die 2.000 Arbeitsräume originär auf eine Zielvorgabe des Masterplans des Atelierbüros, also nur auf den zusätzlichen Bedarf an Ateliers, denen noch der Mehrbedarf für die Sparten Darstellende Kunst, Literatur, Musik, Projekträume und Tanz hinzugefügt werden muss. Angewendet auf den DH 18/19 heißt das konkret: für die Darstellende Kunst ein realistisch angesetzter Mehrbedarf von 100 Proberäumen, sprich 8.000 qm; für die Literatur 132 Einzel- oder Gemeinschaftsbüros, sprich 3.450 qm; für die Musik 100 Übungsräume und 8 Ensembleproberäume, sprich 2950 qm; für die freien Projektgruppen und –initiativen 28 Projekträume, sprich 2.800 qm; für den Tanz 45 Probenräume, sprich 3.100 qm. Zusätzlich zu den Bedarfen der Bildenen Kunst reden wir in Summe also von zusätzlichen 413 Arbeitsräumen mit 20.300 qm allein für den DH 18/19.
Das sog. Arbeitsraumprogramm steht aber nicht nur hinsichtlich seiner finanziellen Mittelausstattung auf wackligen Füßen, es ist zudem aufgrund seiner Grundprämisse in gewisser Weise eine Fiktion. Es suggeriert, dass es den Arbeitsraum gibt, das Anforderungsprofil, den Lösungsansatz. Tatsächlich geht es idealiter um gelebte Vielfalt, Vielfalt der Programme, der Konzepte, der Anforderungsprofile, die der Vielfalt der international renommierten Freien Szene Berlins Rechnung trägt und noch mehr Rechnung tragen muss.
Handlungsbedarf sehen wir folglich auch in der konzeptionellen Ausdifferenzierung des sog. Arbeitsraumprogramms, in der Ausweitung der operativen Instrumentarien und Handlungsoptionen.
Was ist aus den Forderungen der Koalitionsvereinbarung nach einer Agentur für kulturelle Zwischennutzungen geworden, wo bleibt die langfristige strategische Verankerung im Rahmen eines Stadtentwicklungsplans für Kultur.
Das Bestandsoptimierungprogramm, über das Proberaumanbieter Künstler*innen Räume zu vergünstigten Konditionen anbieten können, hängt trotz positiver Resonanz weiterhin in der Schwebe. Es muss aus unserer Sicht aber zwingend erhalten werden, abrechnungstechnisch entbürokratisiert, mit klar definierten Zugangskriterien ausgeschrieben und letztlich ausgebaut werden. Es muss vor allen Dingen mit einer planbaren Perpektive und idealerweise mit einem eigenen Haushaltstitel versehen werden.
Neben der Entwicklung von Großstandorten muss der Blick auch auf kleinere, zeitnaher zu entwickelnde Gewerbeeinheiten gerichtet werden, auch verstärkter mit Akquisen auf dem privaten Immobilienmarkt.
Wir benötigen Förder- und Anreizstrukturen, die gemeinwohlorientierte Unternehmen und künstlerische Initiativen dabei unterstützen, in Raumangebote zu investieren und diese zur Verfügung zu stellen.
Wir benötigen auch eine stärkere Sichtbarkeit der Arbeitsraumangebote, eine gemeinsame Plattform, einen sog. Single-Point-of-Contact, über den raumsuchende Künstler*innen sich zielgenau über Angebote informieren und austauschen können.
Wir müssen der Spartenvielfalt gerechter werden, die Bedarfe noch viel stärker konzeptionell durchdringen und nach spartenspezifischen Programmsäulen clustern.
Wir stehen erst am Anfang. Und deshalb benötigen wir vor allem Kontinuität und Vertrauen in vereinbarte Strukturen. Eine gewachsene und verläßliche Struktur wie der AK-Räume, der sich immer noch von Jahr zu Jahr in einem jederzeit aufkündbaren Abhängigkeitsverhältnis durchhangeln muss, widerspricht dem Grundsatz einer Partnerschaft auf Augenhöhe. Partizipation auf Widerruf ist nicht in unserem Sinne. Angemessene und den wachsenden Anforderungen angepasste Strukturmittel sind eine notwendige Voraussetzung. Eine Struktur, die 2017 im übrigen ca. 160.000 €, sprich weniger als 3 % der gesamten Haushaltsmittel des sog. Arbeitsraumprogramms veranschlagen wird, dafür aber eine hochwertige spartenspezifische und -übergreifende Expertise sicherstellt und mit hoher Akzeptanz partizipativ in die Freie Szene wirkt und als wesentlicher Mitgestalter und Umsetzer fungiert. Zum Vergleich: allein der Vorbereitungsetat von Chris Dercon lag bei 2,23 Millionen Euro.
Insgesamt müssen die Raumbedarfe der Berliner Künstler*innen in ihrer erforderlichen Ausdifferenzierung noch viel stärker in die Stadtentwicklung integriert werden. Konkrete Konzeptvorschläge durch das konsequente Ausschöpfen von stadtplanerischen Möglichkeiten oder auch die Erweiterung von Neubauinitiativen und –programmen finden sich nicht zuletzt im Masterplan des Atelierbüros. Wir sollten uns etwas trauen. Die Zukunft gestalten. Für eine lebenswerte Stadt.
zum → Pdf: Statement des Atelierbeauftragten für Berlin im Kulturwerk des bbk Berlinanlässlich der Sitzung des Ausschusses für Kulturelle Angelegenheiten am 04.12.2017