Sehr geehrte Medienvertreter*innen,
als die beiden größten spartenübergreifenden Kunst- und Kultur- bzw. Künstler*innenvertretungen in
Berlin, der Rat für die Künste und die Koalition der Freien Szene, begrüßen wir die zukunftsweisenden
Pläne für die Schaffung eines Kulturquartier Molkenmarkt. Hier entstehen nicht nur jene Flächen, die
die Kultur in Berlin dringend für Produktion und Präsentation braucht, sondern es geht auch darum, ein
lebendiges vielfältiges Zentrum für Stadt Berlin und die Berliner*innen im Sinne des Gemeinwohls zu
konzipieren.
Wir möchten mit diesem Schreiben fachlich Stellung beziehen zum laufenden städtebaulichen
Wettbewerb und aus unserer Expertise entscheidende Aspekte vorbringen, die für künftige erfolgreiche
kulturelle Nutzungen von institutionellen und freien Kulturakteur*innen ausschlaggebend, ja
grundlegend sind. Beispielhaft hierfür ist die partizipativ erarbeitete und parlamentarisch beschlossene
Charta der Alten Münze: https://freieszene.berlin/AG_Alte_Muenze/Charta_Alte_Muenze.pdf
In einem dem aktuellen Wettbewerb vorangestellten Werkstatt- und Beteiligungsverfahren wurden
Leitlinien für die Quartiersentwicklung verbindlich festgelegt. Diesen folgend soll das neue Quartier „ein
Ort der Kultur und Kreativität“ werden, die Kultur soll als zentraler „Quartiersöffner“ fungieren und weiter:
„Der Molkenmarkt ist dabei nicht nur Schnittstelle zu den Kulturkonsument*innen,
sondern auch Ort der Produktion und Vermittlung von Kultur. Dafür entstehen neben
Ausstellungs- und Veranstaltungsräumen auch Atelier- und Arbeitsräume. Einer
Verdrängung der bestehenden Institutionen und kulturellen Freiräume wird
entgegengewirkt und zusätzlich werden neue Möglichkeiten geschaffen.“
Leitlinien Molkenmarkt
Mindestens 18.500 Quadratmeter Nutzfläche für die Kultur sollen dafür im neuen Quartier entstehen,
zwischenzeitlich war im Beteiligungsverfahren sogar die Forderung von „bis zu 40% aller entstehenden
Flächen“ laut geworden. Angesichts dieser besonderen öffentlichen Anerkennung der Rolle der Kultur
für die Stadt und ihrer dauerhaften Bedeutung im und für den Molkenmarkt sehen wir eine Dringlichkeit
und Notwendigkeit, unsere Anforderungen an das neue Quartier und unsere Einschätzung der beiden
Entwürfe vor- und einzubringen. Unsere Einschätzungen beziehen sich auf die Entwürfe laut
Ergebnisprotokoll und die Überarbeitungen, die in den Kolloquien und Bürgerwerkstätten vorgestellt
worden sind.
Der Entwurf von Albers / Malcovati orientiert sich am Stadtgrundriss von 1910 und setzt mit seiner teils
gründerzeitlichen Haustypologie auf eher schmale Haustypen und Townhouses mit Hausbreiten von
teils unter 4 Metern. Zahlreiche Erschließungskerne mit Aufzügen und Treppenhäusern werden
benötigt. Dadurch und durch die Anzahl der Einzelhäuser steigen Bau- und Betriebskosten.
Grundrissveränderungen sind nur sehr eingeschränkt möglich und Barrierefreiheit ist je nach Einheit
aufwändig herzustellen. Kulturelle Nutzungen werden vor allem in den vom Durchgangsverkehr in der
Aufenthaltsqualität beeinträchtigten Randbereichen an der Grunerstraße und Stralauer Straße
angeordnet.
Der Entwurf OS arkitekter setzt in der Flächenaufteilung auf die Basis einer Skelettstruktur aus Holz mit
einem Stützenabstand von 4,80m und 6m. Durch die Skelettstruktur sind Grundrisse auch später noch
variabel und können an wechselnde Bedürfnisse über die Zeit mit großer Flexibilität angepasst werden.
Eine geringe Zahl an Erschließungskernen mit Treppen und Aufzügen senken die Bau- und
Betriebskosten und erhöhen die Kontaktqualität der Anwohnenden. Die Anordnung der kulturellen
Nutzungen erfolgt im Quartiersinnenbereich mit hoher Aufenthaltsqualität und in Verschränkung mit
dem öffentlichen Raum an einem „Kulturpfad“ von der Alten Münze zur Ruine der Klosterkirche.
Auf die Entwürfe bezugnehmend sind folgende Aspekte uns als zukünftigen kulturellen Nutzer*innen
mit einer Teilhabe am Quartiersleben besonders wichtig:
1. Bezahlbare Miet- und Betriebskosten sind für eine nachhaltige Ansiedlung unterschiedlicher
kultureller Nutzungen, die teilweise über begrenzte finanzielle Mittel verfügen, aber auch für eine soziale
Durchmischung des Quartiers essentiell. Bauweisen mit zahlreichen Erschließungskernen (viele
notwendige Aufzüge und Treppenhäuser) sind aus unserer Sicht zu vermeiden, da sie zu höheren
Betriebskosten führen. Schmale Häuser sind nach den Erfahrungen aus Frankfurt / Main und anderen
Städten mit sehr hohen Baukosten verbunden und es drohen dadurch hohe Miet- und Betriebskosten.
Als Bauherrin hat die Stadt Berlin auf einem der letzten landeseigenen Grundstücke hier eine hohe
Verantwortung, den Kosten- und somit Verwertungs- und möglicherweise sogar Privatisierungsdruck so
gering wie möglich zu halten. Diesbezüglich steht auch das Preisgericht in einer Schlüsselposition mit
hohen gesellschaftlichen Erwartungen.
2. Flexibilität und Partizipation sind im Hinblick auf ein langfristig lebendiges und sich
zukunftsweisend (weiter-)entwickeln könnendes Stadtquartier von hoher Bedeutung. Auch wenn man
initial für den Bau zunächst ein Set an Grundrissen definiert, ist eine Veränderlichkeit dieser in Hinblick
auf sich wandelnde Arbeitsformen und -strukturen und damit Anforderungen kultureller Nutzer*innen
notwendig und damit nachhaltig. Zugleich garantiert die Partizipation der Nutzer*innen an und in der
Architektur ein sich organisch entwickelndes Quartier, das auch auf ungeplante Entwicklungen
reagieren und die Weiterentwicklung von künstlerischen und kuratorischen experimentellen Nutzungen
berücksichtigen kann. Die Geschichte Berlins nach dem Mauerfall hat gezeigt, dass erfolgreiche
Quartiersentwicklungen ein hohes Maß an Partizipation sowie Freiräume zur Mitgestaltung erfordern.
In den acht Leitlinien zum Molkenmarkt heißt das „Berliner Mischung“. Dafür sind auch architektonisch
offene Strukturen wesentlich, die von Kulturakteur*innen individuell angeeignet werden können. Dass
Grundrisse rekonfigurierbar sind und Spielräume eröffnen, dass Gebäudebreiten eine Variabilität von
Erweiterung genauso wie der Reduktion von Raumgrößen grundsätzlich erlauben und Entwürfe sich an
Nutzbarkeitskriterien messen lassen müssen, halten wir für selbstverständlich. Sehr schmale Häuser,
die nur geringe Variabilität der Grundrisse ermöglichen, mit vielen Treppenhauskernen und
Brandwänden, zerschneiden potenzielle Optionsflächen und schränken Flexibilität stark ein. Darüber
hinaus sind z.B. Galeriehäuser mit einer Breite von teils unter 4 Metern, wie sie von Albers / Malcovati
an der Parochialgasse angeordnet werden, nach unserer Auffassung für diese Nutzung nur extrem
eingeschränkt geeignet und nicht nutzungsorientiert konzipiert.
3. Vernetzung, Barrierefreiheit und Diversität sind neben einem Fokus auf Nachhaltigkeit wichtige
Aspekte, für die wir uns als Kulturakteur*innen seit Jahren engagiert einsetzen. Eine Anordnung
vielfältiger Kultur-Nutzungen entlang von attraktiven öffentlichen Räumen mit hoher Aufenthaltsqualität
halten wir für richtungsweisend für die Stadtzentren von morgen, die sich nicht länger über
Einkaufszeilen und auch zukünftig nicht über exklusive Wohnlagen beleben lassen. Kulturangebote
können einen Kiez beleben, aber zusätzlich bedarf es grundlegender Parameter wie zum Beispiel ein
integratives Denken unter den verschiedenen Nutzungsinteressen und nicht eine Parzellierung in
Funktionseinheiten, die sich möglichst nicht berühren. Durch die Situierung der Kultur im Zentrum des
neuen Quartiers Molkenmarkt werden (bereits bestehende und neu entstehende) Nutzungen
miteinander verknüpft und verschränkt, entstehen öffentliche soziale Räume und öffnet sich der Stadtteil
hin zu anderen Stadtteilen genauso wie zu seinen komplexen historischen Zusammenhängen. So lässt
sich etwas wie ein „Kulturpfad“ tatsächlich vom touristischen Hinweisschild in eine belebte und
durchlässige Stadtlandschaft übersetzen. Für ein vielfältiges öffentliches Leben sind aber auch
Exklusionen von einkommensschwächeren Haushalten (durch höhere Bau- und Betriebskosten) sowie
bauliche Barrieren (durch viele Erschließungskerne) dringend zu vermeiden. Darüber hinaus sind
Gemeinschaftsanlagen sowohl von Verkehrsflächen als auch von Erholungsräumen und Grünflächen
für das Ausbilden einer Quartiersgemeinschaft und das Entstehen eines berlintypischen Kiezes
unverzichtbar.
Aus unserer Sicht erfüllt der Entwurf von OS arkitekter die Bedürfnisse kultureller Nutzer*innen und
eines sich organisch entwickelnden Quartiers wesentlich besser als der Entwurf von Albers / Malcovati.
Deshalb sprechen sich der Rat für die Künste und die Koalition der Freien Szene dafür aus, den Entwurf
von OS arkitekter allen weiteren Planungen zugrunde zu legen.
Rat für die Künste Berlin
http://www.rat-fuer-die-kuenste.de/
Koalition der Freien Szene
https://freieszene.berlin/