Pressemitteilung: AG Alte Münze startet Austausch zur Neuen Berliner Mitte

Fazit: Kommunikation muss gewollt sein! Da steht die Verwaltung noch ganz am Anfang.

Genau ein Jahr nach der letzten öffentlichen Veranstaltung zur Alten Münze, kamen – wieder auf Initiative der AG Alte Münze – Akteur*innen aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft zusammen, um aktuelle Entwicklungen rund um das Areal zu diskutieren. Im Zentrum der Doppelveranstaltung „Von der Nabelschau zum Tellerrand“ standen diesmal die städtebauliche Gestaltung in Berlins Stadtmitte sowie die Möglichkeiten zivilgesellschaftlicher Partizipation an diesen Prozessen.

Teilnehmende der Fahrradtour am Molkenmarkt, Foto: Bettina Bohle/CC

Eine Radtour am 23. August führte die Teilnehmenden zunächst von der Alten Münze über den Molkenmarkt, durch das Humboldt-Forum, am Marinehaus vorbei zum Haus der Statistik. Beim gemeinsamen „Erfahren“ dieser Baustellenlandschaft in der „neuen alten Mitte“ erläuterten ortskundige Expert*innen das Profil der anliegenden Kultureinrichtungen sowie ihre Beteiligung an den Entwicklungen von Ort: von der „Pioniernutzung“ im Haus der Statistik über das „Partizipationsverfahren“ zur Alten Münze bis hin zum Kreativquartier am Köllnischen Park mit Märkischen Museum und Marinehaus. Dabei wurde die große historische Chance deutlich, hier inmitten Berlins ein lebendiges und vielfältiges kulturelles Zentrum zu schaffen – wenn man nur die Orte für Kultur, Kunst und Begegnung gemeinsamen mit den bereits engagierten Akteur*innen der Stadtgesellschaft entwickelt.

In der Podiumsdiskussion am 24. August ging es dann um den Erfahrungsaustausch zu zivilgesellschaftlicher Partizipation an städtebaulichen Projekten. Zunächst gab Staatssekretär für Kultur, Torsten Wöhlert, einen Überblick über die Entwicklungen zur Alten Münze hinter den Kulissen, also bei der Senatsverwaltung für Kultur und Europa (SenKE). Hier seien die Kapazitäten vor allem durch die Corona-Hilfsprogramme und andere Großprojekte zur Raumgewinnung gebunden gewesen und so habe man der Alten Münze „Priorität im Doing, aber nicht in der Kommunikation“ gegeben.

Heißt im Klartext: Die Website wurde Anfang des Jahres aktualisiert und im Hintergrund sei die Bedarfsplanung mit den Pat*innen nun fast abgeschlossen. Nichts Neues also gegenüber dem August 2020, außer dass die Präsentation der beim Dienstleister ARUP beauftragten Expertise zu Akustik und Schallschutz, die für den 23. August geplant war, abgesagt und auf die Zeit nach der Wahl verschoben wurde. Zum Jahreswechsel soll absehbar sein, ob die in der Münze geplanten Nutzungen auch machbar sind.

Lernen von der Zivilgesellschaft

Annette Maechtel, Geschäftsführerin der ngbk, berichtete vom schwierigen Weg des basisdemokratischen Kunstvereins zu neuen Räumen in den Pavillons an der Karl-Marx-Allee, nachdem der Mietvertrag in der Oranienstraße nächstes Jahr ausläuft und die Hausverwaltung keine Verhandlungsbereitschaft zeige. Möglich wurde dies durch ein kompliziertes Konstrukt aus Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte als Bauherrin, der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen (SenSW) als Vermittlerin und SenKE als Mittelgeberin. Sie betonte dabei insbesondere die Wichtigkeit, sich in der Nachbarschaft intensiv zu vernetzen, von ihr zu lernen und in den neuen Ort organisch hineinzuwachsen.

Harry Sachs, Mitgründer und -vorstand des Zentrum für Kunst und Urbanistik (ZK/U), schildert von den Lernprozessen bei der Pioniernutzung am Haus der Statistik. Statt mit der Nutzung bis zu einem Endergebnis zu warten, erprobe man die Möglichkeiten hier durch viel Beteiligung direkt in einem experimentellen Zustand und entwickle laufend eine transparente Bedarfsplanung – eine Vorgehensweise, die er auch für andere Standortentwicklungen empfiehlt. Schließlich gehe es darum, „die Zukunft schon hier und jetzt abzubilden“, die Bedarfe der Nachbarschaft abzufragen und durch Empowerment ihre Mitwirkung anzuregen. Dieser Prozess sei kein extra, wenn zu Ende gebaut ist. Vielmehr ergebe die Integration eines diversen Spektrums von Akteur*innen die bessere Planung.

Teilnehmende der Fahrradtour vor dem Humboldt Forum, Foto: Bettina Bohle/CC

Dezentrales Denken in Netzwerkstrukturen

Auch Paul Spies, Direktor der Stiftung Stadtmuseum Berlin und Chef-Kurator des Landes im Humboldt-Forum, stimmte den Vertreter*innen der zivilgesellschaftlichen Initiativen leidenschaftlich zu. Um die „Stadtgesellschaft lebendig werden zu lassen“ will er das beinah 30 Jahre ungenutzte und nun marode Marinehaus als „Aktivitätenraum“ für die Stadtgesellschaft und die Stadtentwicklung mit Bürgerschaftsformaten öffnen. Das angestammte, lokale Wissen einfließen zu lassen, sei dafür unumgänglich, denn die Zukunft liege in einem dezentralen Stadtnetzwerk mit Kulturangeboten in vielen kleinen, miteinander verbunden Institutionen. Dafür bedürfe es eines „werkstattmäßigen“ Denkens. Und was hierfür letztlich fehle, sei in vielerlei Hinsicht eine Infrastruktur für Bottom-up-Prozesse sowie ein Leitbild für die Innenstadt als kulturelle Hauptstadt. Er wünscht sich daher eine Art Think-Tank dazu, wie man die Stadtmitte in Netzwerken neu denken könnte.

Auf die Frage, warum die senatsübergreifende Zusammenarbeit, beispielsweise in der Stadtwerkstatt, nicht gut funktioniere, antwortet Wenke Christoph, Staatssekretärin für Wohnen, dass Verwaltungen „nach Silo-Prinzip“ funktionierten. Das partizipative Denken sei eine neue Art der Stadtentwicklung, die man erst seit 5–6 Jahren überhaupt öffentlich diskutiere, und so befinde man sich noch auf einem experimentellen Weg, in einem Lernprozess. Beim Molkenmarkt aber wolle man nach dem städtebaulichen Wettbewerb Anfang 2022 ein öffentliches Beteiligungsverfahren durchführen. Angesichts der engen Kooperation zwischen SenKE, SenSW und Landesdenkmalamt, sei man auch sicher, aus dem Molkenmarkt sogar ein Best-Practice-Beispiel für zukünftige Prozesse zu entwickeln.

Wöhlert wies auch darauf hin, dass man für eine bedarfsgerechte Planung Benchmarks brauche, die nicht vorlägen, z. B. eine Bedarfsplanung für künstlerische Produktionsräume. Auf die Frage, warum man sie dann nicht entwickle, gab Christoph zurück, dass es hier auch eines stärkeren politischen Willens und klarerer Leitlinien bedarf. Die fehlenden Planungsparameter gleiche man in den laufenden Prozessen mithilfe von Werkstatt- und Beteiligungsverfahren aus, die Verwaltungen müssten noch lernen, dies von Anfang an mitzudenken.

Torsten Wöhlert, Wenke Christoph, Christophe Knoch, Harry Sachs, Annette Maechtel (v.l.n.r.), Foto: Julia Schell/CC

Viel Hoffnung und Optimismus, wenig Vision und Zusagen

Klar wird: Es gibt schon noch Raum in Berlin. Nur: Die Formen und Techniken, wie man an ihn kommt, haben sich angesichts anonymer Großinvestoren ohne ansprechbares Gegenüber und der zunehmenden Privatisierung des öffentlichen Raums geändert. Ein begleitendes Gremium aus Zivilakteur*innen, Verwaltung und Bauherren, in denen Bedarfe und Möglichkeiten gemeinschaftlich und auf Augenhöhe ausgelotet werden, wird für die Kulturorte der Zukunft unumgänglich. Doch genau ein solches Gremium fehlt bei der Alten Münze.

Nach einer Steuerungsgruppe für den weiteren Prozess befragt, antwortete Wöhlert, vorerst bleibe alles weiter in der Hand der BIM. Nach Abschluss der Bedarfsplanung wolle man ein regelmäßig tagendes Begleitgremium aus Interessierten, potenziellen Nutzer*innen und Anwohner*innen einrichten. Auf die Frage, wie sicher das Erreichte nach der Wahl sei, meinte er, das Geld sei sicher, nur nicht, ob es reiche und bekräftigt: „Die Charta wird niemand sich trauen zurückzunehmen!“ Eine Überzeugung, die hoffnungsvoll stimmt, die man in den 2 Jahren seit Abschluss des Beteiligungsverfahren aber in formalisierte Zusagen hätte überführen können, oder einen Grundbucheintrag, statt lediglich auf den guten politischen Willen einer neuen Regierung zu setzen.

Die Frage nach konkreten Ideen zur künftigen Zusammenarbeit der Verwaltung mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen rund um die Alte Münze blieb am Ende leider unbeantwortet. Nochmals äußerten Wöhlert und Christoph, dass der Wandel in den Verwaltungen im Gange sei, dass man anfange, aus den laufenden Entwicklungen „die Basics zu lernen“ und neue Prozesse zur Schaffung von Räumen entwickeln müsse. Dass man aber auch einen langen Atem bräuchte, angesichts von teuren Großprojekten, wachsenden Baukosten und schrumpfenden Finanzmittel im Zuge der Pandemie.

Da klingt zum Schluss leider etwas durch, was gar nicht wie eine neue Denke anmutet, nämlich: Beteiligung ist anstrengend und braucht Zeit und Geld. Darüber, dass sie dies auch wert sei, waren sich auf dem Podium zwar alle einig. Allein, wo der Wille zur Gestaltung dieser neuen Prozesse herkommen soll, ist eine Frage, die wohl die Abgeordnetenhauswahlen im September beantworten müssen.

Ein herzlicher Dank gilt unseren Freund*innen und Partner*innen bei den Spreewerkstätten für die kostenfreie Bereitstellung von Location und  Technik.

AG Alte Münze
Wibke Behrens / Chris Benedict / Tine Elbel / Christophe Knoch / Julia Schell / Bastian Sistig / Elke Weber