Offener Brief Corona-Folgen Kurzarbeiter Geld ALG II

Offener Brief

An die

Berliner Bundestagsabgeordneten der Fraktionen der CDU und der SPD,

nachrichtlich den CDU/CSU/SPD – Mitgliedern im Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

Die aktuelle Form der Grundsicherung sei „für viele Solo – Selbständige ein sehr faires Angebot, um die finanziellen Einbußen infolge der Corona- Krise zu verkraften“, so die Staatsministerin für Kultur und Medien im Juni. Nein, das sehen wir nicht so. Denn: der befristet „vereinfachte Zugang“ zum Arbeitslosengeld II, den Sie jetzt verlängern wollen, ändert nichts an der Substanz von Hartz IV. Es bleibt bei einer aufwendigen Bedürftigkeits- und Einkommensüberprüfung nicht nur der Antragstellenden, sondern ihrer ganzen Familie, es bleibt bei der grundsätzlichen Verpflichtung, dem Arbeitsmarkt uneingeschränkt zur Verfügung zu stehen – wenn das Jobcenter zu dem oft willkürlichen Schluss kommt, die Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit würden dauerhaft zum Lebensunterhalt nicht ausreichen. Aber woher sollen in vielen Fällen die Einnahmen angesichts der Coronaeinschränkungen und deren Folgen kommen? Für Künstler*innen heißt das früher oder später: Call-Center statt Konzertsaal, Galerie, Atelier und Bühne. Es muss aber doch jetzt darum gehen, gerade künstlerisches Arbeiten trotz Corona längerfristig zu gewährleisten!

Wirksam, unbürokratisch, gerecht und zielgenau kann den Schäden der Corona-Krise für Selbständige und damit für fast alle Künstler*innen nur begegnet werden, wenn Corona-Zuschussprogramme auch ihre eigene Arbeitskraft und-leistung finanzieren. Das hat der Bund bislang abgelehnt. Wir appellieren erneut an Sie das endlich bundesweit zu ermöglichen. Lassen Sie die Künstler*innen und alle Solo-Selbständigen nicht im Stich und die Bundesländer mit allen Folgeproblemen allein!

Wir sprechen Sie jetzt auch aus Gründen der elementaren Gerechtigkeit an. Denn Sie beabsichtigen nun zugleich, die pandemiebedingten Erweiterungen des Kurzarbeitergeldes zu verlängern. Das kostet Milliarden, und dennoch halten auch wir das für richtig. Aber: Selbständige und unselbständige Arbeit werden ungleich behandelt – für die einen Hartz IV, für die anderen relativ großzügiges Kurzarbeitergeld. Das haben Sie bzw. die von Ihnen getragene Bundesregierung bislang damit, und nur damit, gerechtfertigt, dass das Kurzarbeitergeld von den Beitragspflichtigen selbst finanziert wird, Selbständige hingegen allen Steuerzahlenden zur Last fielen (was übrigens immer wenig überzeugend war, ALG II kostet eher mehr als ein qualifiziertes Zuschussprogramm). Damit aber ist nun Schluss. Die Beitragsreserven sind im Wesentlichen verbraucht, jetzt wären dafür steuerfinanzierte Zuschüsse erforderlich.

Die Bundesregierung müsste in ihrer bisherigen Argumentationslogik also allen arbeitenden Menschen, ob angestellt oder nicht, sagen: Das Arbeitslosengeld II, Hartz IV, jedenfalls in der „vereinfachten“ Version, ist „ein sehr faires Angebot“. Tut sie aber nicht. Für Menschen aus Festanstellung ist es das nach ihrer Meinung nämlich nicht. Natürlich mit Recht, denn das ist es in der Corona-Krise tatsächlich nicht, auch nicht für Festangestellte, die pandemiebedingt arbeitslos werden. Aber gerade deshalb müsste nun auch den Selbständigen und damit auch den Künstler*innen ein tatsächlich „faires Angebot“ gemacht werden, dass dem Kurzarbeitergeld entspricht. Selbständige Arbeit kann doch nicht weniger Wert sein als Unselbständige!

„Zank und Streit kommen eben daher, dass entweder Gleiche nicht Gleiches oder nicht Gleiche Gleiches bekommen und genießen.“ Aristoteles würde aktuell nicht Ihr Wähler sein können.

 

Mit freundlichen Grüßen,

Sprecher*innenkreis Koalition der Freien Szene Berlin

bbk berlin e.V. – berufsverband bildender künstler*innen berlin e.V.

BFDK Bundesverband Freie Darstellende Künste e. V.

Bundesverband Theater im Öffentlichen Raum

Bundesverband Zeitgenössischer Zirkus e.V.

FREO – FREIE ENSEMBLES UND ORCHESTER IN DEUTSCHLAND e.V.

GNM – Gesellschaft für Neue Musik

Hans Flesch Gesellschaft

IG Jazz Berlin

Initiative Neue Musik Berlin

Komponistenverband

LAFT – Landesverband freie darstellende Künste Berlin e.V.

Netzwerk freier Berliner Projekträume und -initiativen

Paul-Klinger-Künstlersozialwerk e.V.

Verband Deutscher Puppentheater e.V.

Vereinigung Alte Musik Berlin e.V.

ZTB – Zeitgenössischer Tanz Berlin e.V.