Shutdown II – Freie Szene auf dem Abstellgleis?

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Image: CDC/Alissa Eckert, MS; Dan Higgins, MAMS

Shutdown II – Freie Szene auf dem Abstellgleis?

Der zweite Shutdown binnen eines Jahres trifft Kunst und Kultur neben vielen anderen Berufszweigen mit voller Härte. Bereits die Auswirkungen des ersten Shutdowns und der fortbestehenden Einschränkungen durch Hygiene- und Abstandsregeln waren verheerend für Kunst und Kultur. Gerade Akteur*innen der Freien Szenen sind in ihrer Existenz bedroht und stehen beruflich vor dem Aus.

In den letzten Tagen gab es zahlreiche Aufrufe und Appelle von Verbänden, Aktionsbündnissen und Künstler*innen, die die Verhältnismäßigkeit und vor allem Einseitigkeit der Maßnahmen kritisiert haben, zumal insbesondere in Kunst und Kultur effektive Hygienekonzepte entwickelt und umgesetzt wurden.

Vieles ist von der Politik in den letzten Monaten versäumt worden: fehlende Vorausschau, ein bundesweit einheitlicher Stufenplan, Auswertungen dahingehend, welche Infektionsrisiken von welchen Branchen ausgehen oder auch konkrete Schutzkonzepte für Schulen. Stattdessen viel Aktionismus und ein unübersichtlicher Flickenteppich an gut gemeinten, aber nicht immer durchdachten Hilfs-, Förder- und Stipendienprogrammen auf Landes- und Bundesebene.

Aufgrund des Infektionsgeschehens muss man die Notwendigkeit eines Shutdowns wohl akzeptieren. Um so wichtiger ist es, dass die angekündigten Hilfsmaßnahmen schnell und unbürokratisch vor allem denjenigen zugute kommen, deren Existenz durch die Pandemie bedroht ist. Viele Künstler*innen sind jetzt schon am Ende ihrer Kraft, und selbst wenn einige im Sommer wieder etwas Zuversicht geschöpft haben: der zweite Shutdown wird, wenn die Politik nicht gegensteuert, die Abwärtsspirale weiter beschleunigen und den brutalen Strukturwandel zum Nachteil der Freien Szene vorantreiben.

Die Ankündigung, betroffenen Soloselbständigen im November 75 % des durchschnittlichen Monatseinkommens von 2019 auszuzahlen, ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Noch nötiger wäre eine längst überfällige Neukonzeption der Überbrückungshilfen: Lebenshaltungskosten müssen berücksichtigt werden und ein Unternehmer*innenlohn muss unbürokratisch ausgezahlt werden – dies muss auch rückwirkend auf die Soforthilfen Anwendung finden. Auch unterstützen wir Forderungen nach einem bundesweiten Existenzgeld für in Not geratene Künstler*innen und Soloselbständige, das für die gesamte Dauer der Pandemie in Anspruch genommen werden kann. Die Corona-Hilfen müssen gerecht, das heißt vor allem nach Bedürftigkeit, verteilt werden und dürfen nicht Ergebnis eines Lotterieverfahrens sein.

Selbst wenn der Shutdown im Dezember wieder gelockert oder aufgehoben wird: die negativen Auswirkungen der Pandemie für Kunst und Kultur werden damit nicht verschwinden. Neben kurzfristigen Hilfsmaßnahmen müssen daher dringend langfristige Strukturmaßnahmen entwickelt werden, um die Vielfalt der Kulturlandschaft zu sichern. Dazu gehört u.a. die Debatte über ein Grundeinkommen, das Nachdenken über einen New Deal für Kunst und Kultur, die Verbesserung von Strukturen im Sinn von mehr Beschäftigungs- und nachhaltigen Fördermöglichkeiten, mehr Produktions- und Präsentationsräume für Künstler*innen, Maßnahmen, die Künstler*innen sozial absichern (insbesondere in Zeiten von Krisen und temporären Einnahmeausfällen) und drohender Altersarmut entgegenwirken.

Die Stimmen von Vertreter*innen von Kunst und Kultur, von Verbänden und Netzwerken der Freien Szene müssen in der Politik endlich Gehör finden, ihre Expertise muss in die Entscheidungsprozesse der Politik eingebunden werden.

Der Sprecher*innen-Kreis der Koalition der Freien Szene Berlin

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